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Filme im Kino
MoX Kino-Tipps KW0208.01.2025
Texte: Horst E. Wegener
September 5 – The Day Terror went live
Deutschland ´24: R: Tim Fehlbaum. Ab 9.1. Wertung: ***** Bild: Constantin Film
München, 5. September 1972, während der Olympischen Spiele: Für Geoffrey Mason (Magaro), den ehrgeizig-engagierten Jung-Redakteur beim US-amerikanischen Fernsehsender ABC, ist die beginnende Frühschicht im internationalen Medienzentrum nahe dem Olympia-Park, von wo aus diese Olympischen Spiele zum allerersten Mal in alle Welt live übertragen werden, schon allein deshalb besonders, weil er im Übertragungsraum endlich auch mal das Sagen hat. Als dann aber kurz nach seinem Schichtbeginn Schüsse zu hören sind und sich die Hinweise verdichten, dass im Quartier der israelischen Delegation eine Geiselnahme stattfindet, müssen die ABC-ler schnell umschalten. Unterstützt von der deutschen Schnittassistentin Marianne Gebhardt (Benesch), die Mason dolmetschend zur Seite steht, berichtet das eigentlich mit Sport befasste Team von München aus live über die Geiselnahme. Masons Vorgesetzte (Ben Chaplin und Peter Sarsgaard) dürfen sich derweil mit den Kollegen von der News-Abteilung in Amerika über Zuständigkeiten in der Berichterstattung ins Benehmen setzen und sie alle müssen Antworten auf die Frage finden, was wichtiger ist: Die Moral, die Story – oder die Opfer?
Regisseur Tim Fehlbaums Entscheidung, sein Kammerspiel aus der Perspektive der Sportjournalisten in Szene zu setzen, lässt uns Kinogänger den Rausch der Live-Berichterstattung hautnah miterleben; man sieht zu, wie eine palästinensische Terrorgruppe die Waffe auf unschuldige Geiseln richtet, wie überforderte deutsche Polizisten und Politiker die Lage vergeblich zu kontrollieren versuchen – bis hin zum Blutbad auf dem Flugfeld. Das dialoglastige Politdrama fesselt, weil es mit einem engagierten Cast besetzt wurde. Und es erscheint hochaktuell, weil der Nahostkonflikt leider auch 50 Jahre nach dem Münchner Desaster noch immer nicht gelöst ist.
D: John Magaro, Ben Chaplin, Leonie Benesch, Peter Sarsgaard, Rony Herman, Corey Johnson, Benjamin Walker, Jeff Bock.
Shikun
Israel/ Frankreich/ Schweiz/ Brasilien/ GB ´24: R: Amos Gitai. Ab 9.1. Wertung: **** BIld: AGAV Films
Mit „Nashörner“ schuf Eugène Ionesco 1957 eine Reflexion über Totalitarismus, bei der die titelgebenden Tiere für das Herdendenken vieler Menschen stehen, die ihren Führern gedankenlos folgen. Im Theaterstück geben sie nicht nur das eigenständige Denken auf, sondern verwandeln sich mit der Zeit in diese gepanzerten Vierbeiner – alle, bis auf die Hauptfigur des Bühnendramas. Filmemacher Amos Gitai erschien Ionescos Klassiker des absurden Theaters ideal, um ihn auf die moderne israelische Gesellschaft zu übertragen. Besetzt mit der französischen Schauspielerin Irène Jacob in der Hauptrolle modifizierte Gitai die Vorlage für eine Kino-Variante, die er in einem Shikun ansiedelte. Ein Shikun ist im Israelischen ein Sozialbau – und jener, für den sich die Regie entschied, fand man im Süden Israels in der Negev-Wüste. Dort wandelt Irène Jacobs Hauptfigur durch endlos lange Gänge des unwirtlichen Wohnkomplexes, begegnen ihr mal Menschen unterschiedlicher Herkunft und Sprache, mal durchquert sie menschenleere Parkdecks oder stromert durch eine verlassene Einkaufspassage; entweder zitiert die Jacob Sequenzen aus Ionescos Stück oder es herrscht babylonischen Sprachgewirr im Vorfeld der Verwandlung. Da Gitai sein filmisches Experiment abgedreht hatte, noch bevor es am 7. Oktober 2023 zum Terrorangriff der Hamas auf den israelischen Staat kam, sollte man „Shikun“ lesen als Verweis auf die schon lange vor dem Oktober-Massaker zwiegespaltene Gesellschaft im Land, die entweder jene von Netanjahu angestrebte Justizreform hinnehmen wollte, oder die dagegen stoisch mobil machte. Gleichwohl denken wir uns beim Sichten von „Shikun“, dass uns dieser Experimentalfilm so rätselhaft vorkommen mag, wie Israel und der Nahe Osten insgesamt; kurzum: ein Programmkino-Geheimtipp, auf den man sich einlassen muss.
D: Irène Jacob, Hana Laslo, Yael Abecassis, Bahira Ablassi, Menashe Noy, Pini Mittelman, Naama Preis.
We live in Time
GB/ Frankreich ´24: R: John Crowley. Ab 9.1. Wertung: *** Bild: Peter Mountain/ Studiocanal
Nicht nur, dass die aufstrebende Chefköchin Almut (Pugh) eines Abends zunächst schusselig-hektisch mit Tobias (Garfield) zusammenkracht, um ihr Opfer umgehend ins Krankenhaus einzuliefern; ab sofort schaut sie schuldbewusst immer mal wieder beim Rekonvaleszenten vorbei. Und lädt den mitten in der Scheidung steckenden Marketingmann nach dessen Genesung als kleine Entschuldigung ins frisch eröffnete Restaurant ein, in dem sie arbeitet. Bald funkt es zwischen den beiden, verlieben sie sich. Sind zusammen. Denken übers Kinderkriegen nach – eine schwierige Entscheidung, die auch angesichts ihrer beider Karrieren wohl bedacht sein will, was dann allerdings durch die Diagnose Eierstockkrebs jäh in den Hintergrund rückt. Krebs mit Mitte dreißig, das ist für kein Liebespaar so mir nichts, dir nichts wegzustecken! Als die Krankheit dann gottlob irgendwann besiegt scheint, klappt es sogar mit einem Töchterchen. Es geht wieder aufwärts, bis bei Almut erneut Krebs diagnostiziert wird. Die Frage stellt sich: Das halbe Jahr, das ihr prognostiziert wird, in vollen Zügen auskosten – oder sich auf eine schlauchende Chemo einlassen, mit ungewissem Ausgang?
Regisseur John Crowley erzählt seine bittersüße Lovestory nicht linear, sondern fächert sie in emotional passende Momentaufnahmen auf, zwischen denen er das Liebespaar hin und her pendeln lässt, bis sich uns die Zusammenhänge wie bei einem Puzzle erklären. Während die Regie ihr Händchen für Liebe, Humor und Herzschmerz beweist, stimmt die Chemie zwischen Florence Pughs Almut und Andrew Garfields Tobias erst recht – was uns Kitsch à la Nicholas Sparks erspart.
D: Florence Pugh, Andrew Garfield, Adam James, Marama Corlett, Aoife Hinds, Nikhil Parmer, Heather Craney.
Vika!
Polen/ Deutschland/ Finnland ´23: R: Agnieszka Zwiefka. Ab 16.1. Wertung: ****
Die 84-jährige Wirginia „Wika“ Szmit will auch im Ruhestand keinesfalls aufs Mutter- und Großmutter-Dasein reduziert werden. Weshalb die quirlige Polin eine Seniorenkarriere als DJane in den Nachtclubs von Warschau angeht. Damit Erfolg hat. Sich zur Ikone der Nightlifer aufschwingt, die ihr junges Publikum in schönster Regelmäßigkeit begeistert. Cool – oder peinlich? Dokumentarfilmerin Agnieszka Zwiefka beleuchtet Wikas Alltag, beobachtet die 84-Jährige beim eigenhändigen Renovieren ihrer Wohnung genauso wie bei den Vorbereitungen zu einer ausgedehnten Clubtournee – um wiederholt das Portrait einer Unangepassten zu entwerfen, die sowohl dem Alter als auch jenen vermeintlich geltenden Rollenzuschreibungen trotzt. Wikas Motto: Solange sie bei diversen Pride Parades mitfeiern kann, sei auf jegliche Konventionen gepfiffen! Natürlich können ihre Kinder und Enkel mit dieser Einstellung so rein gar nichts anfangen, weshalb man kaum Kontakt hat. Ein Problem erst, als Corona der Clubszene in ganz Polen die rote Karte zeigt, und unserer DJane im Unruhestand allenfalls ihre Katze als Bezugsperson bleibt. Geschickt wird das Portrait mit musicalartigen Elementen aufgepeppt – und bezaubert!
Doku.
Armand
Norwegen/ Niederlande/ Deutschland/ Schweden ´24: R: Halfdan Ullmann Tondel. Ab 16.1. Wertung: **** Bild: Pandora Film/ Eye Eye Pictures
Weshalb nur soll sie am letzten Tag vor den Sommerferien zum Elterngespräch in der Schule ihres Sohnemanns antanzen? Eine Frage, auf die Elisabeth (Reinsve) im Grunde keine Antwort weiß – was könnte ihr Armand bloß angestellt haben? Im Schulgebäude angekommen, lässt der Schulleiter sie zunächst mit der unerfahrenen Junglehrerin Sunna (Vaulen) allein, bevor sich mit Sarah (Petersen) und ihrem Mann Anders (Hellestreit) die Eltern eines Mitschülers von Armand zur Gesprächsrunde dazugesellen. Man eröffnet Elisabeth, dass ihr Sohn seinen Kameraden Jon sexuell belästigt haben soll. Während dessen Mutter empört ist, mag Armands Mutter das Gehörte nicht glauben. Wie könnte ihrem Sechsjährigen so etwas in den Sinn kommen? Aber Sarah beharrt darauf, ihr Mann hält sich zunächst raus.
Ausgehend von der ungeheuerlichen im Raum stehenden Anschuldigung reichert Regisseur Halfdan Ullmann Tondel sein Kammerspiel Schicht um Schicht mit unerwartet neuen Plot-Wendungen an. Bald kreisen die Gespräche mehr um das Tun, Handeln, verdrängte Lügen und Geheimnisse der Erwachsenen, als dass man der vorgeblichen „sexuellen Abweichung“ des Sechsjährigen auf den Grund geht. Ohnehin weiß niemand mit Bestimmtheit, was zwischen den beiden Jungen passiert ist – Jon seinerseits hat dem Vater den Vorfall vorab anders geschildert, als es dessen Frau im Elterngespräch nun zur Sprache bringt. Gekonnt hangelt sich die Darstellerriege von einem emotionalen Extrem zum nächsten verbalen Gemetzel weiter, während es der Regie durchweg gelingt, das Geschehen leichtfüßig in Szene zu setzen. Beachtlich für einen Erstlingsfilm.
D: Renate Reinsve, Ellen Dorrit Petersen, Thea Lambrechts Vaulen, Endre Hellestreit, Oystein Roger, Vera Veljovic.
A Real Pain
USA/ Polen ´24: R: Jesse Eisenberg. Ab 16.1. Wertung: **** Bild: Fruit Tree Media
Einst waren sie unzertrennlich, doch dann haben sich die beiden Cousins David (Eisenberg) und Benji Kaplan (Culkin) auseinandergelebt und seit längerem keinen Kontakt mehr zueinander. Das Testament ihrer verstorbenen Großmutter könnte da Abhilfe schaffen, indem es David und Benji zu einer gemeinsamen Reise von den USA gen Polen verpflichtet: Ihr Erbe hat die Holocaust-Überlebende aus Polen den beiden Cousins nämlich nur unter der Auflage zugedacht, wenn diese im Rahmen einer Reise durch Grannys frühere Heimat das Geburtshaus der Verstorbenen aufsuchen. Schnell sehen sich der pflichtbewusste, beherrschte David und der impulsive Benji im Rahmen ihrer kleinen bunt zusammengewürfelten Touristen-Reisegruppe konfrontiert mit der knallharten polnischen Gegenwart und es wird auch die Familienlegende, derzufolge Großmutter den Holocaust dank „tausend Wundern“ überleben durfte, infrage gestellt. Doch vor allem müssen die beiden ungleichen Cousins immer wieder feststellen, wie sehr sich ihre Leben auseinanderentwickelt haben. Regisseur Jesse Eisenberg, zugleich mit einer der beiden Hauptrollen schauspielerisch befasst, schanzt seinem Compagnon Kieran Culkin den darstellerisch interessanteren Part zu, punktet gleichwohl mit einem keineswegs nostalgisch-versöhnlichen Roadmovie-Trip durchs heutige Polen; ein Programmkino-Geheimtipp.
D: Jesse Eisenberg, Kieran Culkin, Will Sharpe, Jennifer Grey, Kurt Egyiawan.