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Wer ist eigentlich...28.05.2025
Text und Foto: Thea Drexhage
Ganze 54 Meter umspannt das Werk „Lineare Meter Publikum“ von Andrey Gradetchliev, wenn alle Leinwände aneinander aufgereiht werden würden. Das in schwarz-weiß gehaltene, und mittlerweile überall auf der Welt verteilte Werk zeigt Menschen, wie man sie beispielsweise in der ersten Reihe eines Theaters sitzend finden kann – beobachtend, erzählend, nachdenkend.
Vor nunmehr 30 Jahren begann der Künstler, die ersten Figuren festzuhalten. Inspiriert hat ihn seine Arbeit am Theater während seines Studiums an der Nationalen Akademie der bildenden Künste in Sofia. Dort arbeitete er am Bühnenbild und es kam vor, dass aktiv während des Stücks die Kulissen auf und von der Bühne geschoben werden musste. „Ich habe dabei die Leute in den ersten Reihen gesehen, wie sie mich mit Interesse und Erwartung beobachtet haben. Das hat mich zu diesem Werk inspiriert.“, schaut er zurück. Dass er Kunst sowie Grafikdesign und Illustration studierte und im Anschluss seinen Lebensunterhalt damit bestreiten würde, war nur wenig verwunderlich. Schon als Junge malte und zeichnete er überdurchschnittlich viel und trat damit in die Fußstapfen seiner Eltern. Sein Vater war selbst bildender Künstler und die Mutter Balletttänzerin. Diese Umstände erlaubten es der Familie, das sozialistische Bulgarien für einige Jahre zu verlassen. So verbrachte Andrey Gradetchliev die frühen Jahre seiner Kindheit unter anderem in Ulm und Regensburg, wo seine Mutter als Prima Ballerina engagiert war. Doch nach sieben Jahren erlaubte Bulgarien es dem jungen Gradetchliev nicht mehr, das Land zu verlassen, sodass seine Eltern mit ihm zurückkehren mussten. 1997 führte sein Weg ihn wieder nach Deutschland und er verbrachte ein Jahr als Austauschstudent in Worpswede. In Oldenburg lebt er seit 2001 und sich ein Leben als freischaffender Künstler und Grafiker erarbeitet. Nun findet man ihn in seinem Atelier in der Alten Brennerei Hilbers zwischen Leinwänden, Farben, Kamera und digitalen Werkzeugen, zumindest dann, wenn er nicht an der Oldenburger Kunstschule in der Westkampstraße lehrt. „Dort bin ich 8 Stunden in der Woche und habe mit jungen Menschen zwischen 15 und 25 Jahren zu tun. Es ist meine Möglichkeit, mich mit dieser Generation auszutauschen und das bereichert mein Leben sehr“, erzählt er. Lehre nach striktem Lehrplan, wie es beispielsweise an Berufsschulen der Fall ist, ist nicht sein Ding. Zwar sei eine Vermittlung der handwerklichen Grundlagen wichtig, doch am Ende ginge es vor allem darum, die Individualität der jungen Menschen zu fördern und es ihnen zu ermöglichen, sich selbst in ihrer Kunst auszuleben. „Das erfordert von mir, dass ich improvisiere und mich auf die verschiedenen Menschen einlasse.“, so der Künstler. In seinen eigenen Arbeiten geht es hingegen ganz geordnet zur Sache. Es gibt kein langes Grübeln vor dem weißen Blatt. Es wird geplant, skizziert und dann eine Leinwand in der Größe aufgespannt, die das vorbereitete Werk erfordert, aber natürlich sei im Entstehungsprozess auch Improvisation erlaubt und gewünscht. Eine Herangehensweise, die für den 57-Jährigen funktioniert. Unzählige Ausstellungen zieren seine Vita. Eine der erfolgreicheren kam vor zwei Jahren zustande. „Oldenburg um’s Eck“ fand in den Räumlichkeiten des ehemaligen Foto Dose statt, wo nicht nur seine Arbeiten zu sehen waren, sondern auch die von fünf weiteren jungen Künstlern. Dieses Projekt entpuppte sich als kommerzieller Erfolg, denn fast 80% der Werke wurden verkauft. Rückblickend ist für Andrey Gradetchliev nicht immer der eigene Erfolg oder das eigene Schaffen, das was besonders in Erinnerung bleibt, sondern auch die inspirierenden Begegnungen auf dem Weg. Zum Beispiel das Jahr 2005, als er selbst gar nicht so künstlerisch aktiv war, aber dafür dem amerikanischen Minimalismus-Künstler Sol DeWitt in Brüssel und St. Gallen assistierte. Doch nicht nur die Vergangenheit birgt schöne Erinnerungen, auch in der nahen Zukunft liegt ein Termin, auf den sich Gradetchliev sehr freut: eine Ausstellung, welche neben seinen Werken auch Arbeiten seiner Ehefrau Svetlana Gradetchliev, die ebenfalls Grafikerin und Illustratorin ist, und die seiner Tochter Anna Gradetchliev, die derzeit als Kostümbildnerin für die Netflix-Serie „Outlander“ arbeitet, beinhalten wird. Diese wird ab dem 6.9. in der Galerie Schönhof in Jade zu sehen sein. Abseits dessen arbeitet er weiter an „Lineare Meter Publikum“ und an einem weiteren Langzeitprojekt: einem Buch mit eigenen Illustrationen, das auch nach 10 Jahren Arbeit noch immer nach einem letzten Schliff verlangt. Keine Pause für die Kreativität!